Die Staatsanwaltschaft hat Sie angeklagt, Sie haben eine Anklageschrift erhalten? Was bedeutet das für das weitere Strafverfahren? Wie sind die nächsten Schritte? Diese und weitere Fragen im Zusammenhang mit Ihrer Anklage beantwortet ich Ihnen im nachfolgenden Artikel.
Ich bin ausschließlich als Strafverteidiger tätig und Fachanwalt für Strafrecht.
Der Schreck ist groß, Sie finden im Briefkasten einen gelben Briefumschlag. Dieses gelbe Kuvert weist auf eine amtliche Zustellung. Sie haben vom zuständigen Amtsgericht oder vom Landgericht eine Anklageschrift zugestellt bekommen. Achtung: auf dem gelben Umschlag finden Sie das Datum der Zustellung.
Was bedeutet die Zustellung der Anklageschrift?
Nun stellen Sie sich die Frage, welche strafprozessualen Konsequenzen die zugestellte Anklage für Sie hat. Durch die Zustellung der Anklageschrift beginnt für Sie nach dem Ermittlungsverfahren der zweite Verfahrensabschnitt des Strafverfahrens in erster Instanz. Dieser Verfahrensteil des Strafprozesses ist das Zwischenverfahren.
Die Staatsanwaltschaft hat das gegen Sie geführte Ermittlungsverfahren abgeschlossen. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sie über ausreichend Beweismittel verfügt, die Ihnen vorgeworfene Straftat(-en) mit der für eine Verurteilung erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft liegt hinreichender Tatverdacht vor, deshalb hat sie die Taten angeklagt.
Offensichtlich hat die Staatsanwaltschaft hier weder eine Möglichkeit gesehen, das Ermittlungsverfahren einzustellen, noch eine Erledigung im Strafbefehlswege („schriftliche“ Verurteilung ohne Hauptverhandlung) befürwortet. Als Einstellungsvarianten im Ermittlungsverfahren kommen zum Beispiel die Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. II StPO (also dann wenn nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft kein Tatnachweis gegen den Beschuldigten zu führen ist), wegen geringer Schuld gemäß § 153 StPO oder gegen Geldauflage gemäß § 153a StPO in Betracht. Daneben ergeben sich weitere speziellere Einstellungsmöglichkeiten aus dem BtMG vor.
Was können/sollen Sie nach Erhalt der Anklage tun?
Zunächst ist es wichtig, dass Sie den gelben Umschlag aufheben und nicht wutentbrannt wegschmeißen! Auf dem Kuvert ist nämlich das Zustellungsdatum verzeichnet. Mit der Zustellung der Anklageschrift setzt Ihnen das Gericht regelmäßig eine Frist, um zur (bzw. gegen) die Eröffnung des Hauptverfahrens Stellung zu nehmen, eigene Beweismittel zu benennen etc.. Sie können sich also binnen dieser Frist gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens wenden und z.B. Beweisanträge stellen. Damit Sie den gleichen Informationsstand wie die Staatsanwaltschaft haben, sollten Sie zuvor über Ihren Rechtsanwalt Akteneinsicht in die Ermittlungsakte nehmen.
Machen Sie sich verdächtig, indem Sie einen Rechtsanwalt nehmen?
Es ist ihr gutes Recht, einen Verteidiger hinzuzuziehen. Dies ergibt sich aus § 137 Abs. I StPO. Sie dürfen in jeder Lage des Strafverfahrens bzw. zu jedem Zeitpunkt des Strafprozesses einen von Ihnen ausgewählten und beauftragten Rechtsanwalt mit Ihrer Strafverteidigung betrauen. Genau dies empfehle ich Ihnen: nämlich umgehend einen Strafverteidiger – idealerweise einen Fachanwalt für Strafrecht – mit Ihrer Verteidigung zu beauftragen. Hierdurch sorgen Sie dafür, dass die häufig einseitig geführten Ermittlungen kritisch geprüft und gegebenenfalls angegriffen werden.
Durch die Wahrnehmung eines Ihrer wichtigsten strafprozessualen Rechte, das Verteidigerkonsultationsrecht – also das Recht, einen Strafverteidiger hinzuzuziehen – verändert sich der gegen Ihre Person bestehenden Tatverdacht nicht. Für die Strafjustiz – und zwar sowohl für Gerichte als auch für die Staatsanwaltschaft – ist es tägliche Routine, dass Beschuldigte im Ermittlungsverfahren bzw. Angeschuldigte nach Zustellung der Anklageschrift im Zwischenverfahren einen Strafverteidiger mit der Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragen.
Warum sollen Sie einen Fachanwalt für Strafrecht beauftragen?
Immer wieder finden sich Kollegen, die neben der Bearbeitung verschiedener zivilrechtlicher Schwerpunkte (Arbeitsrecht, Erbrecht, Familienrecht u.a.) Strafverteidigungen anbieten. Wie jedes andere Rechtsgebiet auch folgt aber der Strafprozess eigenen/speziellen Regeln. Dies erfordert naturgemäß auch bei Ihrem Anwalt spezielle Kenntnisse. Deshalb sollten Sie einen Fachanwalt für Strafrecht beauftragen. Dieser hat seine besonderen praktischen und theoretischen Kenntnisse im Strafprozess nachgewiesen und muss sich regelmäßig fortbilden. Und außerdem: Ihre Blinddarmentzündung lassen Sie schließlich auch nicht von Ihrem Zahnarzt behandeln.
Was sind die ersten Schritte nach der Beauftragung Ihres Anwalts?
Ihr Rechtsanwalt wird zunächst Akteneinsicht in die Ermittlungsakte nehmen und gegebenenfalls Fristverlängerung zur Stellungnahme zur Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen.
Sobald die Ermittlungsakte vorliegt, ist durch Ihren Anwalt zu überprüfen, ob und inwiefern die Staatsanwaltschaft die Beweismittel zutreffend und umfassend gewürdigt hat. Im Anschluss kann in geeigneten Fällen das Zwischenverfahren – hier der Antrag zur Nichteröffnung des Hauptverfahrens – dazu genutzt werden, um Ihre Sicht der Dinge darzustellen.
Bitte beachten Sie, dass das Gericht gemäß der Strafprozessordnung die Möglichkeit hat, das Hauptverfahren auch tatsächlich nicht zu eröffnen. Leider machen die Gerichte hiervon nur selten Gebrauch.
Übrigens ändert sich mit der Zustellung der Anklageschrift auch Ihre Beschuldigten-Stellung zu der des sog. Angeschuldigten. Für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens endet das Zwischenverfahren, das Hauptverfahren beginnt und Sie werden als Angeklagter bezeichnet.
Wie können Sie sich gegen die Anklage wehren?
Wie bereits zuvor erwähnt, können Sie binnen der hierzu seitens des die Anklageschrift erlassenden Gerichts gesetzten Frist zur Eröffnung des Hauptverfahrens Stellung nehmen. Nutzen Sie diese Chance, um einerseits Missverständnisse oder fehlerhafte Beweiswürdigungen der Staatsanwaltschaft klarzustellen bzw. zu korrigieren. Außerdem ist es auch für den schweigenden Beschuldigten oder Angeklagten eine gute Möglichkeit, seine Einschätzung der Sach- und Rechtslage mitzuteilen.
Wann kommt es nach der Zustellung der Anklageschrift zur Gerichtsverhandlung?
Nach Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt in einem Zeitraum von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten die Terminierung des Hauptverhandlungstages bzw. in umfangreicheren Strafverfahren mehrerer Hauptverhandlungstage. Wie schnell oder langsam Ihre Hauptverhandlung auf die Anklageschrift folgt, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Zunächst kommt es auf die Auslastung oder auch Überlastung des Gerichts an. Häufig sind die Strafkammern an den Landgerichten über viele Monate austerminiert. Es ist nahezu ausgeschlossen, dort einen schnellen Termin zu bekommen.
Dies liegt unter anderem daran, dass Haftsachen aufgrund des Beschleunigungsgebotes Vorrang haben. Denn die Untersuchungshaft soll so kurz wie möglich gehalten werden. Auch Strafverfahren wegen Verkehrsstrafsachen wie Trunkenheit im Straßenverkehr, Straßenverkehrsgefährdung u.a., in denen der Führerschein beschlagnahmt und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ausgesprochen wurde, werden bevorzugt terminiert.
Außerdem kommt es durchaus vor, dass der Angeschuldigte im Zwischenverfahren von seinen weitgehenden Rechten – insbesondere von seinem Beweisantragsrecht – umfassend Gebrauch macht. So können auf Ihren Antrag hin bereits im Zwischenverfahren Zeugen und Sachverständige vernommen werden, Beweismittel in Augenschein genommen werden, etc.. Auch kommt es teilweise vor, dass das Gericht auf Veranlassung des Angeschuldigten bzw. seines Strafverteidigers Nachermittlungen bei der Staatsanwaltschaft in Auftrag gibt.
Welche Funktion hat die Anklageschrift?
Sie stellen sich die Frage, was mit der Ihnen übersandten Anklageschrift bezweckt werden soll. Mit der Anklage werden im Strafprozess zwei Funktionen – nämlich die Informationsfunktion und die Umgrenzungsfunktion – erfüllt.
Durch die Informationsfunktion soll der Angeschuldigte über den ihm gemachten Tatvorwurf informiert werden.
Mittels der Umgrenzungsfunktion soll die vorgeworfene Tat derart konkretisiert werden, dass eine Abgrenzung von anderen/vergleichbaren Lebenssachverhalten möglich ist. Aus diesem Grund soll die Anklageschrift Ort und Zeit sowie Art und Umfang der Tathandlung darstellen. Hierdurch soll es dem Angeschuldigten bzw. seinem Rechtsanwalt möglich sein, doppelte Bestrafungen zu verhindern. Nach dem Doppelbestrafungsverbot darf eine Person wegen einer Tat lediglich einmal bestraft werden. Bitte beachten Sie, dass auch z.B. bei einer Einstellung gegen Geldauflage nach Leistung der Auflage Strafklageverbrauch eintritt und das Doppelbestrafungs-Verbot greift. Ist ein Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen Geldstrafe eingestellt, darf wegen der eingestellten Tat kein weitere/neue Verurteilung erfolgen.
Exkurs: Im Falle einer Verurteilung darf das Gericht lediglich über den in der Anklageschrift dargetanen Lebenssachverhalt urteilen. Der Erweiterung der Anklage hinsichtlich weiterer Straftaten muss der Angeklagte zustimmen. Stellt das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung eine geänderte Sachlage oder rechtliche Einordnung der vorgeworfenen Tat fest, muss es auf diese Gesichtspunkte hinweisen.
Tipp vom Fachanwalt für Strafrecht: Der erste Blick auf die frisch erhaltene Anklageschrift ist sicherlich erschreckend, in manchen Fällen gar schockierend. Aber genau in dieser Situation hilft es Ihnen nicht weiter, den Kopf in den Sand zu stecken. Beauftragen Sie einen im Strafrecht versierten Anwalt mit Ihrer Verteidigung, nehmen Sie Ihre Rechte bereits im Zwischenverfahren wahr. Über Ihren Rechtsanwalt bekommen Sie Akteneinsicht. Im Anschluss kann Ihre Verteidigungsstrategie ausgearbeitet werden: Es stellen sich viele Fragen – wie ist die Beweiswürdigung der Staatsanwaltschaft einzuschätzen? – Welche Beweismittel stehen zur Verfügung? – Wann ist der geeignete Zeitpunkt die entsprechenden Beweisanträge zu stellen?
Quellennachweis: Michael Grabscheit, Andreas Bender, Rainer Sturm – pixelio.de