Der erste Teil des Beitrags soll über die einzelnen Katalogfälle nach § 140 Absatz 1 StPO für dieBeiordnung des Rechtsanwaltes (Strafverteidigers) als Pflichtverteidiger informieren.
Die StPO (Strafprozessordnung) sieht in bestimmten Fällen vor, dem Beschuldigten/ Angeklagten einen strafrechtlich tätigen Rechtsanwalt – Strafverteidiger – als Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen.
Die so genannte „notwendige Verteidigung“ ist in § 140 StPO geregelt. Danach wird zwischen den Katalogfällen des § 140 Absatz 1 StPO und der Generalklausel nach § 140 Absatz 2 StPO unterschieden.
Auf die finanzielle Situation des Beschuldigten/ Angeklagten kommt es dahingehend jeweils nicht an. Das bedeutet, dass auch derjenige, welcher finanziell in der Lage ist, einen Wahlverteidiger zu beauftragen, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein Recht auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes als Pflichtverteidiger hat.
1. Pflichtverteidiger- Katalog gemäß § 140 Absatz 1 StPO
a) Hauptverhandlung vor dem OLG (Oberlandesgericht) oder LG (Landgericht) (§ 140 Absatz 1 Nr. 1 StPO )
In diesem Fall kommt es weder auf die Art des dem Beschuldigten/ Angeklagten zur Last gelegten Vorwurfs an, noch auf die sachliche Zuständigkeit des OLG oder LG. Ausschlaggebend für die Beiordnung des Anwalts als Pflichtverteidiger ist ausschließlich, ob die Hauptverhandlung tatsächlich vor dem OLG oder LG stattfindet.
b) Vorwurf des Verbrechens (§ 140 Absatz 1 Nr. 2 StPO)
Eine notwendige Verteidigung ist auch dann gegeben, wenn dem Beschuldigten/ Angeklagten ein Verbrechen gemäß § 12 StGB (Strafgesetzbuch) zur Last gelegt wird. Dies kann sich aus der Anklageschrift, dem Eröffnungsbeschluss, einer Nachtragsanklage oder einem rechtlichen Hinweis ergeben. Stellt sich im Laufe der Verhandlung heraus, dass es sich doch lediglich um ein Vergehen handelt, bleibt das Recht auf Beiordnung des Strafverteidigers als Pflichtverteidiger bestehen.
Ob ein Verbrechen oder ein Vergehen vorliegt, richtet sich nach § 12 StGB. Danach ist ein Verbrechen eine rechtswidrige Tat, die als Mindestmaß eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber vorsieht.
c) drohendes Berufsverbot (§ 140 Absatz 1 Nr. 3 StPO)
Weiterhin besteht ein Recht auf Beiordnung eines Anwalts als Pflichtverteidiger, wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit die Anordnung eines Berufsverbotes (gemäß § 70 StGB) zu erwarten steht.
Dies kann sich unter anderem aus der Anklageschrift, einem rechtlichen Hinweis oder zum Beispiel der Beantragung einer solchen Anordnung doch die Staatsanwaltschaft im Verlaufe der Hauptverhandlung ergeben.
d) Anstaltsunterbringung (§ 140 Absatz 1 Nr. 5 StPO)
Befindet sich der Beschuldigte/ Angeklagte nicht auf freiem Fuß, ist seine Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger.
Eine Anstaltsunterbringung im Sinne des § 140 Absatz 1 Nr. 5 StPO ist insbesondere die Straf- und Untersuchungshaft (U-Haft) im In- und Ausland, die Unterbringung nach §§ 63 ff. StGB (psychiatrische Klinik/ Entziehungsanstalt/ Sicherungsverwahrung). Auch so genannte Freigänger fallen unter die Voraussetzung des § 140 Absatz 1 Nr. 5 StPO.
Weitere Voraussetzung ist, dass die Anstaltsunterbringung für den Zeitraum von mindestens drei Monaten stattfand. Es kommt nicht darauf an, ob die freiheitsentziehende Maßnahme drei Monate ununterbrochen andauerte oder ob sich dieser Zeitraum aus einer Addition mehrerer Anstaltsunterbringungen ergibt.
Zu beachten ist, dass die Beiordnung des Pflichtverteidigers nach § 140 Absatz 3 Satz 1 StPO aufgehoben werden kann, wenn der Beschuldigte/Angeklagte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der jeweiligen Anstalt entlassen wurde.
e) Unterbringung nach § 81 StPO (§ 140 Absatz 1 Nr. 6 StPO)
Wird die Unterbringung zur Beobachtung des Beschuldigten/ Angeklagten nach § 81 StPO ernsthaft beantragt, ist die Voraussetzung für die Notwendigkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers erfüllt.
Nach § 81 StPO kann ein Angeklagter/ Beschuldigter auf Antrag zur Beobachtung in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus untergebracht werden, um ein Gutachten über dessen psychischen Zustand vorzubereiten.
f) Sicherungsverfahren (§ 140 Absatz 1 Nr. 7 StPO)
Im Rahmen eines Sicherungsverfahrens nach §§ 413 ff StPO ist die Verteidigung immer notwendig.
Ein Sicherungsverfahren kann dann durchgeführt werden, wenn das Strafverfahren auf Grund von Schuldunfähigkeit oder mangelnder Verhandlungsfähigkeit des Täters nicht durchgeführt werden kann.
g) Verteidiger Ausschluss (§ 140 Absatz 1 Nr. 8 StPO)
Wird der Wahlverteidiger gemäß §§ 138 a ff. StPO von der Verhandlung ausgeschlossen, besteht immer ein Recht des Beschuldigten/ Angeklagten auf Beiordnung eines Strafverteidigers als Pflichtverteidiger.
§ 138 a StPO sieht die Ausschließung des Verteidigers im Wesentlichen in drei Fällen vor. Danach ist der Verteidiger gemäß § 138 a Absatz 1 Nr. 1 StPO auszuschließen, wenn er sich an der zu verhandelnden Tat selbst beteiligte. Weiterhin ist der Strafverteidiger gemäß § 138 a Absatz 1 Nr.2 StPO auszuschließen, wenn er den mündlichen oder schriftlichen Verkehr mit einen nicht auf freiem Fuße befindlichen Beschuldigten/ Angeklagten dazu nutzt, Straftaten zu begehen oder die Sicherheit der Vollzugsanstalt zu gefährden. Außerdem ist der Strafverteidiger gemäß § 138 a Absatz 1 Nr. 3 StPO auszuschließen, wenn gegen ihn der dringende bzw. hinreichende Tatverdacht hinsichtlich einer Strafvereitelung, Begünstigung oder Hehlerei im Zusammenhang mit der angeklagten Tat besteht.
2. Bestellung des Pflichtverteidigers
Liegt ein Fall aus dem Katalog des § 140 Absatz 1 StPO vor, ist die Bestellung eines Anwalts zum Pflichtverteidiger zwingend vorgeschrieben.
Das bedeutet, dass der zuständige vorsitzende Richter den Pflichtverteidiger von Amts wegen bestellen muss. Ein Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten/ Angeklagten ist hierfür nicht erforderlich.
Der Vorsitzende wählt den zu bestellen Pflichtverteidiger aus einem der im Gerichtsbezirk zugelassenen Rechtsanwälte aus. Denn nach der Rechtsprechung des BGH ist die Gerichtsnähe des Strafverteidigers wesentliche Voraussetzung für eine sachgerechte Verteidigung.
Die Wünsche des Beschuldigten/Angeklagten auf Bestellung eines bestimmten Strafverteidigers als Pflichtverteidiger sind zu berücksichtigen. Dies gilt jedoch nur, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht. Von einem solchen besonderen Vertrauensverhältnis ist insbesondere auszugehen, wenn die Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger beantragt wird. Das Auswahlermessen des vorsitzenden Richters hinsichtlich der Auswahl des beizuordnenden Pflichtverteidigers reduziert sich sodann auf null. Das heißt, dass der Wunsch des Beschuldigten/ Angeklagten bezüglich der Auswahl des Strafverteidigers zwingend zu berücksichtigen ist.
Dies gilt regelmäßig selbst dann, wenn der gewünschte Strafverteidiger aus einem anderen Gerichtsbezirk stammt.